Warum fällt es meinem Kind so schwer, richtig zu schreiben oder angemessen zu lesen?
Was bedeutet überhaupt Legasthenie? Ein gebräulicheres Wort war früher die Lese-Rechtschreib-Störung oder auch -Schwäche. Im Schulkontext wird oft die Abkürzung LRS verwendet, wobei hier oft nicht unterschieden wird, ob das „S“ für Schwäche oder Störung stehen soll . Leider ist der Unterschied im Schulkontext oft nicht klar.
Je nach Ausprägung spricht man in Expertenkreisen eher vvon einer Schwäche oder von einer Störung. Wobei es ganz individuell verschieden sein kann, ob ein Kind Schwierigkeiten nur mit dem Lesen oder nur mit dem Schreiben oder auch sich mit beidem schwer tut. Dies ist aber von entscheidender Bedeutung. Wird ihr Kind diagnostiziert, wird im Gutachten, mit dem ein schulischer Nachteilsausgleich und oder Notenschutz erworben und oder eine Therapie begonnen werden kann, genau differenziert und individuell umgesetzt.
An dem Wort „Störung“ stoßen sich viele Eltern. In Fachkreisen wird aber der Begriff benutzt, da auch in den Leitlinien und in den Klassifizierungen der WHO ganz klare Kriterien vorliegen, ab wann man den Begriff verwenden darf. Im Folgenden wird näher beschrieben, welche Faktoren zu einer Legasthenie beitragen können.
Genetik
Besteht bei einem Elternteil bereits eine Ausprägung von Legasthenie, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind selbst eine Lese- und/oder Rechtschreibstörung entwickelt, erhöht. Dieser Faktor allein bedingt jedoch nicht zwangsläufig eine Legasthenie beim Kind.
Neurobiologie
Forschungsergebnisse unterstützen die Annahme, dass bestimmte Verarbeitungsprozesse im Gehirn bei Menschen mit Legasthenie anders ablaufen, als bei Menschen ohne Legasthenie. So zeigen sich beispielsweise bei Kindern, die später eine Legasthenie entwickeln, oft schon früh Unterschiede bei der Verarbeitung von Sprache. Reize, die schnell aufeinander folgen, werden von Menschen mit Legasthenie anders verarbeitet. Und auch beim Lesen und Schreiben selbst können mit Hilfe von bildgebenden Verfahren (z.B. MRT, CRT) Abweichungen der Aktivitätsmuster beobachtet werden.
Kognition (Wahrnehmungs- und Denkprozesse)
Die veränderten neurobiologischen Prozesse von Menschen mit Legasthenie beeinflussen zudem einige kognitive Bereiche, die zwar keine direkte Grundlage für Lesen und Schreiben darstellen, jedoch trotzdem ausschlaggebend sind, wie zum Beispiel:
- Arbeitsgedächtnis
- Wahrnehmung und Verarbeitung von visuellen und auditiven Reizen und Informationen
- Aufmerksamkeit
Außerdem wirken sie sich direkt auch auf Bereiche aus, die für den Erwerb von Schriftsprache erforderlich sind, sog. Vorläuferfertigkeiten. Diese sind unter anderem:
- phonologische Bewusstheit (Bewusstheit über die lautliche Struktur der Sprache)
- morphologische Bewusstheit (Bewusstheit über die Struktur von Wörtern und die Wortbildung)
- Rapid Naming (Benennungsgeschwindigkeit als Maß dafür, wie schnell visuelle Symbole verbal benannt werden können)
- Buchstabenkenntnis
- Wortschatz
Woran erkannt man Legasthenie?
Die gute Nachricht: alle Kinder, die Lesen und Schreiben lernen, machen am Anfang ähnliche Fehler in unterschiedlich starkem Ausmaß. Die Probleme nehmen aber meist rasch ab und die Fertigkeiten entwickeln sich schrittweise, wenn keine Lese-Rechtschreibstörung vorliegt. Kinder mit Legasthenie machen die Fehler wesentlich öfter und die Schwierigkeiten bleiben leider über längere Zeit bestehen.
Anzeichen beim Lesen
- niedrige Lesegeschwindigkeit
- häufiges Stocken oder Verlieren der Zeile im Text
- Auslassen, Vertauschen oder Hinzufügen von Wörtern, Silben oder einzelnen Buchstaben
- Schwierigkeiten, den Inhalt des gelesenen Textes wiederzugeben
- Bei der Beantwortung von Fragen zum Inhalt wird oft allgemeines Wissen verwendet, anstelle der Infos aus dem Text.
Anzeichen beim Schreiben
- hohe Fehlerzahl bei Diktaten und auch beim Abschreiben von Texten (Wörter werden teilweise nur in Bruchstücken und im selben Text sogar mehrfach unterschiedlich falsch geschrieben)
- oft zusätzlich viele Fehler in Grammatik und Zeichensetzung
- unleserliche Handschrift
Probleme in anderen Fächern
- Schwierigkeiten sind in allen Schulfächern möglich, in denen Lesen und Schreiben angewendet werden muss.
- Besonders häufig treten Probleme bei Fremdsprachen oder Mathematik auf (vor allem bei Textaufgaben).
- Deutliche Schwierigkeiten bei grundlegenden Rechenarten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division können zudem Anzeichen für eine zusätzlich auftretende Dyskalkulie sein. Für weitere Informationen siehe die Infobox „Dyskalkulie“.